Drei Staatsphilosophen und die Energiekrise

Jeder spart jetzt Energie, damit wir gemeinsam gut durch den Winter kommen.

Oktober 2022
Mikhail Nilov auf Pexels (pexels.com)

Wir fragten Aristoteles, Thomas Hobbes und John Locke, was sie von diesem Slogan halten, den man so oder ähnlich aus aktuellem Anlass häufig sieht.

Aristoteles: Natürlich geht es darum, gemeinsam Energie zu sparen. Weshalb gemeinsam? Das ist eine merkwürdige Frage, schließlich fragst du einen Regentropfen ja auch nicht, weshalb er abwärts fällt.

Sparsamkeit ist in der gegenwärtigen Situation aufgrund der Verknappung von Energie, insbesondere Heizenergie, eine Tugend. Daher ist das ihr gemäße Handeln sozial definiert und wird in sozialen Gruppen aus- und dadurch eingeübt. Wer sich der sozialen Gruppe angehörigt fühlt, akzeptiert damit zugleich die Geltung ihrer Tugenden. Es geht also nicht um die Frage, welches Anrecht auf eine bestimmte Energiequantität oder ein bestimmtes Heizverhalten der einzelne hat, sondern um die Frage, ob er sich tugendhaft verhält oder nicht. Hartnäckiger Widerstand einzelner Bürger gegen den Tugendkatalog der staatlichen Gemeinschaft läuft dem Ziel der Gesetzgebung, tugendhafte Bürger zu erziehen, zuwider und muss daher durch Bestrafung gebrochen werden 1“Punishments and penalties should be imposed on those who disobey and are of inferior nature” (EN X.9 1180a8–9).

Thomas Hobbes: Jeder einzelne möchte zu seiner persönlichen Behaglichkeit so viel Energie aufwenden wie möglich. Aufgabe des Souveräns ist es, durch Repression den Energiekonsum auf ein rationales Optimum zu begrenzen.

John Locke: Der individuelle Energiekonsum wird in einer Krisensituation nicht anders als zu normalen Zeiten durch den Marktmechanismus bestimmt. Das bedeutet, dass der Preis der Heizenergie zur Zeit steigt und daher die Konsumenten insgesamt weniger davon beziehen können. Da aber das Recht auf die freie Verwendung des eigenen Vermögens bestehen bleibt, kann es sein, dass wohlhabendere Menschen trotz hohen Preises weiterhin viel Heizenergie beziehen und damit zu einer weiteren Verknappung beitragen.

Die von meinen Kollegen Aristoteles und Hobbes vorgeschlagenen Lösungen scheitern beide, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Gegen Aristoteles ist einfach einzuwenden, dass seine in sich ohne Zweifel wünschenswerte Vorstellung eines tugendhaften Staatsbürgers in der Wirklichkeit nicht verlässlich ist, und auch durch die Androhung von Sanktionen nicht erreichbar ist.

Gegen Hobbes ist einzuwenden, dass die Exekutive ihre Rechte überschreitet, wenn sie in das wirtschaftliche Handeln der Bürger eingreift. Denkbar wäre allenfalls, dass sie auf der Grundlage eines behaupteten Notstandes handelt; einen solchen rechtfertigenden Notstand habe ich jedoch nur für Fälle vorgesehen, in denen die Legislative nicht rechtzeitig befragt werden kann 2„This power to act according to discretion, for the public good, without the prescription of the law, and sometimes even against it, is that which is called prerogative: for since in some governments the lawmaking power is not always in being, and is usually too numerous, and so too slow, for the dispatch requisite to execution; and because also it is impossible to foresee, and so by laws to provide for, all accidents and necessities that may concern the public, or to make such laws as will do no harm, if they are executed with an inflexible rigour, on all occasions, and upon all persons that may come in their way; therefore there is a latitude left to the executive power, to do many things of choice which the laws do not prescribe.“ Second Treatise on Government, Sec. 160. Was nun das Recht der Legislative betrifft, Gesetze zu erlassen, welche den Energiekonsum der Einzelnen drosseln, so wäre zu beweisen, dass solche Normen besser geeignet sind als der Marktmechanismus, um die gegenwärtige Krise zu überstehen.

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